Ich wollte gerade aus dem Auto steigen, als mein Blick auf die Nachricht auf dem Handy-Display fiel… Anstatt aufzustehen, ließ ich mich zurückfallen und starrte aus dem Fenster. 30 Sekunden später war die Welt eine andere…
Was war passiert?
Eigentlich war es ein normaler Tag gewesen. Wie Sisyphus hatte ich gegen den Berg an E-Mails angeschrieben, nur um für jede Beantwortete zwei neue reinzubekommen. Ich hatte telefoniert, war noch schnell etwas einkaufen gewesen, hatte wegen unserer Heizung zum 15ten Mal dem Handwerker hinterher telefoniert und zwei Retouren zur Post gebracht.
Jetzt schnell meine Tochter von der Kita abholen, um vor dem Termin am Nachmittag noch die Anfragen abzuarbeiten…
Die innere To-Do-Liste immer vor Augen, die sich ja doch nie wirklich leert.
Und als ich gerade auf dem Parkplatz vor der Kita stand und aus dem Auto steigen wollte, ploppte die Erinnerung auf dem Handy auf, die ich mir selbst eingestellt hatte.
“Denk an Frankl!”
Viktor Frankl war ein jüdischer Psychologe, der das Konzentrationslager überlebt hat und sich sehr intensiv damit beschäftigt hat, wie man in seinem Leben einen Sinn findet. In seinem Buch “Trotzdem ja zum Leben sagen”, das ich vor kurzem gelesen hatte, hat er eine Übung vorgeschlagen, die ich durch diese Erinnerung machen wollte:
Stell dir vor, du bist dein 20 Jahre älteres Ich und du schaust auf diese Situation, in der du dich jetzt gerade befindest, und in der du all die Fehler gemacht hast, die du gleich machen wirst, zurück… Wie würde dein 20 Jahre älteres Ich diese Situation leben, wenn er sie noch einmal leben könnte?
Und so saß ich also noch einen Moment im Auto, anstatt die Kita zu betreten und mir wurde einiges klar…
In 20 Jahren wird meine Tochter 26 sein und mit ziemlicher Sicherheit schon lange nicht mehr zu Hause wohnen. Aus meinem kleinen Mädchen, diesem knuddeligen, neugierigen, von allem begeisterten Wirbelwind, der sie heute ist, wird eine erwachsene Frau geworden sein.
Und was würde ich mit meinen dann 60 Jahren wohl dafür geben, nochmal eine Stunde mit meiner 6jährigen Tochter verbringen zu können…
Und dieser Gedanke veränderte meine komplette Wahrnehmung.
Während ich die Treppe zur Kita-Tür herauf gehe, wirken die Farben intensiver. Als ich in den Gang zur Gruppe meiner Tochter einbiege, nehme ich all die Basteleien, die Fotos an den Wänden, die aufgehängten Regenwolken viel intensiver wahr als sonst. In dem Moment, in dem meine Tochter mich sieht und sie anfängt zu strahlen, geht mir das Herz auf und ich umarme sie, als hätten wir uns seit Wochen nicht mehr gesehen.
Anstatt sie anzutreiben, sich schnell anzuziehen, habe ich auf einmal alle Zeit der Welt. Ich würdige jedes einzelne der Bilder, die sie gemalt hat und wir albern herum, während ich ihr helfe, sich fertigzumachen. Im Auto drehen wir die Musik auf und rocken lachend zum Song im Radio ab. Und zu Hause angekommen, ignoriere ich die E-Mails und fange stattdessen mit ihr ein Puzzle an.
Und während ich sie so konzentriert mit den Puzzleteilen hantieren sehe, wird mir klar, was für ein Glück ich habe, dieses Leben zu leben. Was für ein Glück ich jeden Tag habe…Und wie wenig ich das so oft wahrnehme.
Und ich nehme mir vor, das aufzuschreiben. Um mich daran zu erinnern, weil ich es so oft selbst vergesse. Und weil dir das wahrscheinlich genauso geht. Weil wir gestresst durch unser Leben rennen und dabei so oft das Glück übersehen, das um uns herum nur auf uns wartet. Und weil es so einfach sein kann, deine Sichtweise für einen Moment zu verändern und dadurch dein Leben in einem ganz neuen Glanz erstrahlen zu lassen…